Gartenkunst oder Wege nach Eden

Gartenkunst

Gartenkunst geht über die Nutzbarmachung von Land hinaus zur ästhetischen Gestaltung - sie ist die Verbindung von gärtnerischer Arbeit und künstlerischer Kreativität


Freitag, 20. November 2015

Das geheime Leben der Pflanzen - Illertisser Forum 2015

Das Illertisser Forum fand dieses Jahr am 18.11. unter dem Motto "Das geheime Leben der Pflanzen"(…und was wir Menschen damit zu schaffen haben) im Museum der Gartenkultur statt.
Warnung, hier gibt es (zu?) viel zum Lesen…
Gleich zu Anfang lud der "Vollblutbiologe" Dr. Michael Schwerdtfeger, Kustos des alten botanischen Gartens in Göttingen, die Zuhörer auf eine
"Weltreise durch die schillernde Welt der Blütenökologie" ein.


Foto© Sabine Spiegler 2015
Über den Bauplan (die Zahl und Anordnung der Staub-, Kelch- und Blütenblätter), durch den die verschiedenen  Pflanzenfamilien bestimmt werden, den Gestalttyp - von den Scheiben- oder Schalenblüten (Geranium, Erdbeere u.a. Rosengewächse), den Glockenblumen, den Röhrenblüten (Fuchsie, Kniphofia), Pinselblumen (z.B. Akazien, Mimosen), den Stichtellerblumen (Heidenelke, Phlox), den Lippen- und Rachenblühern, Fahnen- (Ginster, Lerchensporn) und Köpfchenblumen ging es zu den blütenökologischen Stiltypen.
Den einfachsten Bauplan hat z.B. die ursprüngliche Geraniumblüte mit je fünf Kelch-. Blüten-, Staub- und Fruchtblättern.

Geranium -  die einfachste Blüte Foto© Barbara Ehlert 2015
Das hätte eine zähe Biologiestunde werden können, dank des anschaulichen und humorvollen Vortagsstils des Dozenten war es jedoch eine spannende Reise zu den Geheimnissen der Blütenpflanzen. Anhand der "Stiltypen" kann  auch der botanische Laie recht schnell feststellen oder zumindest vermuten, von welchen Tieren die Blütenpflanzen bestäubt werden - so gibt es typische Bienen-, Tagfalter-, Nachtfalter-, Fliegen-, Käfer- und, wenn auch nicht in Europa, Vogel- und Fledermausblumen.
Die Bienenblumen bieten ihren begehrten Gästen viel Pollen oder sehr konzentrierten Nektar (ersteres dient dem Nachwuchs, zweites als "Flugbenzin" der Insekten). Sie machen mit freundlichen Farben und/oder freundlichen Düften auf sich aufmerksam. Rein rote Blüten sind bei uns in der Natur selten, da die Insekten diese Farbe nicht so wahrnehmen können.
Tagfalterblüten sind häufig rötlich, rosa oder violett und haben wie Disteln, Verben, Lantanen enge dünne Röhren, passend zu den Saugrüsseln der Falter. Nachtfalterblumen hingegen blühen abends in hellen Farben auf. Aufgelöste Formen, Schlitze in der Blüte und ein starker Duft sind auf die Wahrnehmungsfähigkeit der Nachtfalter abgestimmt. Nachtkerzen, Engelstrompeten, Petunien und Tabak sind bekannte Beispiele für diesen Stiltyp.
Fliegenblumen zeichnen sich durch morbide Farben und einen für Menschen eher abstoßenden Geruch aus (Aronstab, Titanwurz).

Strelitzienblüte Foto© Barbara Ehlert 2015


Leuchtend rote Blumen sind häufig "Vogelblumen" - zum Beispiel Canna indica und auch Strelitzien setzen auf die Bestäubung durch Nektarvögel. In den Tropen gibt es auch Fledermausblüten, die sich auf die "Kolibris der Nacht" eingestellt haben. Da ihre Bestäuber sie nicht sehen, sind die Farben der Blüten eher trübe, grünlich-bräunlich, sie machen sich durch spezielle, häufig gemüseartige Düfte und besonders exponierte Blütenstände bemerkbar.


Blüten, die weder durch Duft, noch durch Schönheit oder ein reiches Angebot an Nektar prunken sind darauf auch nicht angewiesen - sie setzen auf Windenergie. Eichen, Buchen und Brennnesseln zählen zu den "Windbestäubern".
Wer sich in das interessante Thema der Blütenökologie vertiefen möchte, Dr. Schwerdtfeger hat dazu ein Buch geschrieben, das just am Tag des Gartenforums ausgeliefert wurde. (Klick auf das Bild führt zum Amazon Link)
Der Link zu Dr. Schwertfegers Webseite: Der Vollblutbiologe

Nach dieser furiosen Weltreise durch das Blütenreich ging es im zweiten Vortrag etwas beschaulicher und regionaler weiter. 


Foto© Sabine Spiegler 2015

Thomas Janschek, der hauptberuflich für die Qualitätssicherung von Hopfen zuständig ist, erzählte von
Symbolik und Brauchtum um Pflanzen.
Nicht nur Nahrung und Heilung, auch Schutz und Transzendenz werden seit jeher mit der Pflanzenwelt in Verbindung gebracht. Pflanzen, besonders Bäume, gelten als Vermittler zwischen Diesseits und

Foto© Barbara Ehlert 2015
Jenseits. Der Baum als Ursymbol findet sich als Erleuchtungsbaum bei den Buddhisten, als heiliger Baum von Eridu in Mesopotamien, als nordische Weltenesche Yggdrasil und im Christentum als Baum der Erkenntnis. Die Alchemisten und auch Hildegard von Bingen sahen die Pflanze als "alles verbindende Grünkraft". Wie viele Gärtner der heutigen Zeit mögen wohl diese Ansicht teilen?
Zahlreiche Geschichten um historische Dorflinden machen die Verbundenheit der Menschen zu besonderen Bäumen deutlich.
Im Rupertiwinkel gab des den  Brauch des "Baumbusselns" und "Baumweckens" - Kinder wurden am Dreikönigstag auf die Obstbäume gehoben, die sie dann umarmten, die Rinde küssten und um eine gute Ernte baten.
Der verbreitete Brauch des Räucherns, der heute wieder häufiger ausgeübt wird, bewirkt nicht nur eine tatsächliche "Reinigung in der Vertikalen", sondern wird auch als "Verbindung in der Vertikalen" gesehen - so wie im katholischen Gottesdienst der Weihrauch eingesetzt wird.
Mit Janscheks volkskundlichen Betrachtungen der Pflanzenwelt könnte man sicher eine ganze Vortragsreihe füllen. Über diesen Link kann man an seinem Wissen teilhaben und Bücher aus seiner Reihe "Von Baum zu Baum" bestellen.

Den dritten Vortrag des Vormittags hielt Jörg Pfennigschmidt, der sicher allen Lesern der "Gartenpraxis" durch seine Glossen auf der letzten Seite bekannt ist. 
"Zwischen Gartenbuddha und Kräuterschnecke: Die geheime Welt des Gartens" lautete sein Motto, unter dem er verschiedene Themen aus der Gartenwelt vortrug. Das erste: "Das geheimnisvolle Wachstum von Bäumen und wie man es vermeiden kann". 
Foto© Sabine Spiegler 2015
Mit drastischen Bildern, die, obwohl eigentlich zum Verzweifeln, doch in Verbindung mit den Kommentaren wahre Lachsalven im Publikum auslösten, stellte Pfennigschmidt die Frage, warum der Satz "Die schneidet mein Mann" für so viele Gehölze das Verderben bedeutet. Männer, die traditionell für´s Grobe, Krawall, Lärm und Technik zuständig sind, haben das eben einfach im Gefühl wie man einen Baum schneidet, auch wenn die Fichtenhecke nachher aussieht als wenn kurz dahinter ein Airbus abgestürzt wäre. Typische Beispiele des verbreiteten Hausmeisterschnitts, Marke halbrund in Kopfhöhe des ausführenden Übeltäters, illustrierten was der Gartenbesitzer zu erwarten hat, wenn er seine Gehölze den Fachmännern eines "RuckZuck (und rundum)  Haus und Gartenservice" anvertraut. (Schlimm genug, nur hier haben wir auch häufig die nicht gezeigte "Atompilzvariante" - unten schmal, oben breiter und abgerundet, denn dann gibt es mehr Platz für Rasen…). 
Schön das Thema "Gartenbesichtigung" - warum in einem sehenswerten Garten morgens um halb zehn bei Nieselregen ein Tisch mit zwei Weingläsern, einem aufgeschlagenen Gartenbuch, einem Mörser mit Lavendel dekoriert ist, das Ganze noch mit ausgestreuten Rosenblättern garniert. Ob der Besucher glauben soll, der Hausherr habe soeben den Wein dekantiert, seine Frau habe ihm gerade aus dem Gartenbuch vorgelesen und derweil etwas Lavendel gemörsert, bevor sie eilten die Besucher zu empfangen? 
Vielleicht eine Land- Zeitschrift aus dem inzwischen überbordenden Angebot zu viel gelesen? Der ultimative von Pfennigschmidt beanspruchte Titel jedoch fehlt noch… Land Unter. Wo wir von den neu zu entdeckenden alten Heringsrassen läsen und die besten Pflanztipps bei Ebbe erführen. 
Im Reich der Stauden würde Pfennigschmidt sich als "ortsfeste Begleitstaude mit geringem Geselligkeitsbedarf" einordnen, dennoch zeigte er sich live vor Publikum als begabter Entertainer. 
Zu recht bemängelte er, dass Gärtner einfach nicht als sexy gelten - sie sind unter den 250 beliebtesten Berufen nicht zu finden (also, bei den Frauen begehrte Männer nach Beruf aufgelistet…). Da wäre wirklich noch Luft nach oben. 

Der Garten der Färbepflanzen Foto© Barbara Ehlert 2015

Nun war es Zeit für die Mittagspause - anstatt Gulaschkanone gab es riesige Töpfe mit einem kräftigem Eintopf aus "Albleisa" und Gemüse. Überdies die Gelegenheit, die Ausstellung "Scharfe Sachen - die Geschichte der gärtnerischen Schneidegeräte"  im Museum der Gartenkultur anzusehen, an einer Führung mit Dieter Gaissmayer durch die Museumsgärten und den Schaugarten der Gärtnerei teilzunehmen und Tomatensaatgut von Michael Schick zu erwerben oder skurrile Samen von Eckehard Schautz zu bestaunen.
Vom Nachmittagsprogramm erzähle ich vielleicht später noch in einem anderen Post…
Das Bild unten zeigt Dieter Gaissmayer, der ein Herzensprojekt erläutert: "Entsteint euch". Gartenbesitzer dürfen dort ihre Steine aus den Vorgärten abliefern. Bis jetzt hat leider noch niemand die Gelegenheit wahrgenommen.

Foto© Barbara Ehlert 2015


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